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Warum ich als Journalist nicht mehr auf Twitter verzichten kann

TwitterDer Papst-Rücktritt im Februar dieses Jahres, die entscheidene Nachricht über den Ausgang der US-Präsidentenwahl. Zwei Beispiele für Nachrichten mit weltweiter Relevanz, die innerhalb weniger Minuten über alle Medien-Kanäle liefen. Trotzdem habe ich diese und andere Meldungen zuerst über Twitter erfahren.

Im Alltag meines Volontariats im Digitial-Ressort hat Twitter große Vorteile, stellt aber auch neue Anforderungen an die Nutzer.

Ein Stammtisch, immer geöffnet

Allein auf die Arbeit als Journalist bezogen bietet mir der Dienst einen Mehrwert, den ich so nirgends anders bekomme. Meine Timeline ist ein Stammtisch, immer geöffnet, der sich 24 Stunden und 365 Tage im Jahr über Themen austauscht, die für mich relevant sind. Gute Linktipps, aktuelle Debatten, kluge Wahrheiten oder skurrile Alltagsgeschichten in 140 Zeichen.

Klar, da gibt es den Herdentrieb, die manchmal übertriebene Einteilung in Gut und Böse, und oft zählt auch: Je simpler eine Wahrheit, desto größer der Zuspruch. Das Tolle aber ist: Ich muss gar nicht ständig dabei sein, sondern kann mich einklinken, wann ich möchte. Es gibt auch Arbeitstage, an denen ich über bestimmte Zeiträume gar nicht bei Twitter bin.

Trotzdem: Ich kann über aktuelle Themen schreiben, meine Artikel oder Blogposts verbreiten, bin ein Teil der Community, der relevante Inhalte von anderen erfährt und selber welche verbreitet – ein gegenseitiger Austausch auf Augenhöhe, der längst über die Arbeit hinaus Spaß macht.

Sicher, man muss sich zunächst mit Twitter beschäftigen, Lust haben, seine eigene Community aufzubauen, Leuten zuhören, ein Gespür für den Dienst entwickeln. Als Journalist zählt nicht mein Status, sondern das, was ich sende und retweete, den Mehrwert, den ich biete. Das kostet Zeit (benötigt bei einigen Kollegen sicher ein Umdenken) und wird zu Beginn schnell als weiterer unangenehmer Faktor im ohnehin schon ausufernden digitalen Grundrauschen des redaktionellen Alltags wahrgenommen.

Ich kann Leute gut verstehen, die davon zunächst abgeschreckt sind. Vor einigen Wochen habe ich fünf Tage lang aufgeschrieben, wie viele Nachrichten mich auf welchen Kanälen täglich erreichen. Tweets, RSS-Feeds, Agenturen, Instagram oder Facebook-Statusmeldungen sind hier noch gar nicht dabei.

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Bei der Masse an Nachrichten besteht schnell die Gefahr, die Orientierung zu verlieren, das Gefühl zu bekommen, vom Strom des digitialen Grundrauschens erdrückt zu werden (Ich bin mir sicher, bei vielen anderen sind die obigen Zahlen noch weitaus höher).

Aufgrund dieses Überangebots den digitalen Overload auszurufen, halte ich aber für falsch. Man sollte die große Auswahl der Informationsströme vielmehr als Chancen sehen und wissen, wie man damit umgeht.

Für Twitter und auch die anderen Kanäle gilt deshalb: Die große Herausforderung ist, die Nachrichten sinnvoll zu ordnen, die Relevanz für sich und seinen Job zu filtern. Eine gute Organisation ist das A und O: Sinnvolle Twitter-Listen, mit Suchfunktionen bei Twitter vertraut sein, gut geordnete RSS-Feeds. Es lohnt sich, gerade hier viel Zeit zu investieren, akribisch zu arbeiten und für sich selber zu sortieren.

Auch Journalisten suchen Orientierung

Bei Journalisten scheint der Bedarf an Übersicht und Orientierung im Social Web ziemlich groß zu sein. Artikel mit praktischen Tipps haben regelmäßig eine hohe Resonanz. Hier im Blog hatte und hat der Artikel über Infografik-Tools die mit Abstand besten Zugriffszahlen. Weitere Beispiele sind die Artikel von Martin Giesler über Tools, die jeder Journalist kennen sollte, oder die dreiteilige Serie über Tools für Journalisten und Blogger von Sonja Kaute.

Was man bei aller Begeisterung nicht vergessen darf: An grundlegenden journalistischen Anforderungen hat sich gar nicht so viel geändert. Heißt: Selber denken, Ideen haben, Themen umsetzen, gut zu schreiben. Das Gespräch, der persönliche Eindruck, ein exklusiver Zugang – alles Dinge, die auch in Zukunft wichtig sind. Mein Akademie-Leiter hat einmal gesagt: „Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte.“

Klassische und digitale Vernetzung verschmelzen

Gleichwohl sind die Möglichkeiten für Journalisten durch Twitter & Co. viel größer geworden. Hier habe ich eine zusätzliche Community mit Experten zum Thema und zum Teil unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten. Für die Recherche gibt es ganz viele Anknüpfungspunkte, die auch zeigen, dass die klassische und digitale Vernetzung miteinander verschmelzen.

Es sind neue Möglichkeiten, die man in jedem Ressort nutzen kann. Ob Digital oder Lokal – auf Twitter findet man in ziemlich jedem Bereich eine passende Community.

Keine Frage: Für guten Journalismus braucht es nicht zwangsläufig Twitter. Der Dienst ist auch nicht das Allheilmittel, das den Journalismus der Zukunft rettet. Wenn ich mir die zusätzlichen Möglichkeiten anschaue, möchte ich jedoch nicht mehr auf den Mehrwert verzichten, den Twitter mir beruflich und privat bringt. Ich kann jedem empfehlen, diese Möglichkeiten zu nutzen.

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2 Gedanken zu “Warum ich als Journalist nicht mehr auf Twitter verzichten kann”