FAZ.NET hat am Montag ein Porträt veröffentlicht, das zunächst so gar nicht für den flüchtigen Blick auf Social Media geeignet scheint. Eine lange Geschichte, kein Instant Article, der sich schnell öffnet; viel, viel Text, für den man sich zurücklehnen muss, auf den man sich einlassen muss. Ein Teasertext, über den man sogar einmal nachdenken muss, der keinen spontan emotionalen Reflex auslöst.
Wer soll das auf einem Smartphone lesen?
Tatsächlich sammelte die Geschichte bei Facebook in wenigen Stunden tausende Reaktionen, wurde häufig geteilt, kommentiert und gelesen.
Auf den zweiten Blick zeigt sie uns, worauf es für journalistische Marken auf Plattformen wie Facebook ankommt: gute Geschichten, Menschen berühren, Menschen etwas geben, die Nutzer nicht als Klickvieh zu missbrauchen, sie nicht zu verarschen.
Sie lehrt uns auch: Wer dem Leser etwas gibt, der bekommt etwas zurück. In den Kommentarspalten bei Facebook, die bei Journalisten gerne als geistige Müllhalde verschrien sind, wo Autoren beschimpft werden.
In den Kommentaren unter diesem Artikel gibt es:
Menschen, die dem Autor von ganzem Herzen danken (und viele, die es liken).
Menschen, die berührt sind und nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen.
Menschen, die sich gegenseitig auf die Geschichte aufmerksam machen.
Menschen, die ihre eigene Lehre aus dem Porträt ziehen.
Menschen, die später einfach auch so sein wollen.
Menschen, die die Geschichte weitererzählen wollen.
Menschen, die einen „ehrlichen“ Text schätzen.
Menschen, die ihm helfen möchten.
Menschen, die noch andere Ebenen in der Geschichte erkennen.
Menschen, die die Geschichte einfach mögen. Und den Autor.
Menschen, die einen Text zu Ende lesen.
Es zeigt auch, dass sich eine Sache für Journalisten auch auf Plattformen wie Facebook ganz und gar nicht verändert hat: Es geht um gute Geschichten. Es geht um guten Journalismus.
Ein Gedanke zu “Ich habe mir die Facebook-Kommentare unter der Geschichte von Herrn Meier (87) angeschaut. Sie sind großartig.”
Stimmt, und das ist ja – wie Sie auch schreiben – keine neue Erkenntnis sondern 1) die Bestätigung einer alten und 2) das nötige Aufbrechen von Leserklischees, die sich der Journalismus in der Zeit des digitalen Wandels selbst geschaffen hat, um sich nicht an die eigene Nase fassen zu müssen.
zu 2) Leser haben schon immer gerne gute Geschichten gelesen. Auch lange. Besonders aber leicht sentimentale, lakonische Betrachtungen über das Leben. Das hat sich nie geändert, auch nicht in den sozialen Netzwerken. Der flüchtige Leser, der nur noch hyeraktiv „News snackt“ ist doch eher die lahme Ausrede dafür, dass die eigenen (vielleicht langweiligen?) Inhalte nicht immer gut ankamen.
zu 1) Kann man von den Reaktionen unter dem grandiosen Text wirklich überrascht sein? Also, ernsthaft, so ganz ohne Buzzfeedmäßige „Ich konnte nicht glauben, was dann passierte“-Hysterie? Das verwundert schon. Im Endeffekt ist das doch Teil des typischen Dualismus in den sozialen Netzwerken: Auf der einen Seite Hass, Polemik, Trolling, auf der anderen Seite nachdenkliche Sprüche mit Bildern, „Ich musste weinen, als ich dieses alte Ehepaar sah“ und bewegende Videos, die irgendwie dieses „Never-give-up-your-dream“ vermitteln. Das funktioniert auch, wenn der Text tatsächlich richtig stark ist, so wie „Herr Meier“.
>>Auf den zweiten Blick zeigt sie uns, worauf es für journalistische Marken auf Plattformen wie Facebook ankommt: gute Geschichten, Menschen berühren, Menschen etwas geben, die Nutzer nicht als Klickvieh zu missbrauchen, sie nicht zu verarschen.<< Naja, wirkliche Schlussfolgerungen für den Journalismus kann man daraus eben nicht ableiten. Man kann nun mal nicht schnell zur bloßen Reportageporträt-Zeitung konvertieren – die polarisierenden Themen bleiben das Tagesgeschäft. Und die müssen auch gepostet werden. Den hier liegt, wenn überhaupt, das Problem des Journalismus: Nicht im Mangel an "guten Geschichten" sondern am routinehaften Vernachlässigen journalistischer Standards beim klassischen Nachrichtenhandwerk. Das verärgert die Leser im Netz.
Beste Grüße