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Wie wir* ignorieren, was junge Menschen bei Facebook, Twitter und Youtube interessiert

Das Twitter-Profil von @dagibeee
Das Twitter-Profil von @dagibeee
Vergangene Woche tauchten in den deutschen Twitter-Trends Hashtags auf, mit denen ich erstmal überhaupt nichts anfangen konnte: #HäckchenfürDagi am Dienstag, #Bienchen am Mittwoch und #niewiederniemand am Freitag.

Sie haben mir gezeigt, wie wenig ich eigentlich darüber weiß, was ganz offenbar viele junge Menschen bei Twitter und in sozialen Medien interessiert – und wie sehr man digitale Welten ignoriert, die doch eigentlich extrem wichtig für jeden sein sollten, der sich mit Medien beschäftigt.

Es begann mit diesem Tweet von @dagibeee:

@dagibeee hat auf Twitter mehr Follower als Focus Online. Über 850.000 Menschen haben ihren Youtube-Kanal abonniert. Ihre Videos dort haben zwischen 300.000 und mehr als 1 Million Klicks.

Ich habe noch nie bewusst etwas über sie in klassischen Medien gelesen. Ich habe sie noch nie auf einem Roten Teppich neben Dschungel- und Bachelor-Menschen gesehen. Wer ihren Twitter-Namen googelt, findet auf den ersten Seiten Artikel über eine Autogrammstunde, die wegen des großen Andrangs außer Kontrolle geriet. Inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr: keine.

Bei Twitter reichte diese Nachricht, um den Hashtag in die deutschen Trends zu bringen. Keine zwei Tage später erhielt sie ein blaues Verifizierungshäkchen.

Wer sich über den Hack-Häkchen-Fehler im Hashtag lustig machte und ihn als Maßstab für die Integlligenz junger Leute auf Twitter nahm, hatte rein gar nichts verstanden.

Auch ihr #Bienchen-Hashtag hielt sich Mittwoch und Donnerstag jeweils weit oben in den Twitter-Trends.

@Dagibeee erhält mehr Retweets und Favoriten als viele große Twitter-Accounts von gesellschaftlichen Persönlichkeiten oder Marken. Am Freitag, 1. August, hatte sie laut Topsy etwa so viele Mentions wie der @BVB-Account.

Die Anzahl der Twitter-Mentions von @dagibeee und @BVB am 1. August.
Die Anzahl der Twitter-Mentions von @dagibeee und @BVB am 1. August.

Jenseits der journalistischen Filterblase gibt es bei Twitter Akteure, die viele junge Leute erreichen. Sie haben mehr Follower als viele Medienhäuser, TV-Schauspieler oder Bundesliga-Spieler.

Sie können mit einem Tweet Trends setzen, was manche Fernseh-Sendungen mit einem Millionen-Publikum nicht schaffen. Sie haben auf Youtube mehr Zuschauer als lokale Sender und auf Twitter und Facebook mehr Fans als viele etablierte TV-Formate. So sind dort, wo sich junge Leute aufhalten, sie sprechen junge Leute an, sie begeistern junge Leute. Sie erstellen die Inhalte, die sich junge Leute wünschen.

Kann es sein, dass wir uns viel zu wenig damit beschäftigen, was jenseits der Filterblasen bei Twitter, Youtube und Co. passiert?

Kann es sein, dass wir mit einem Tunnelblick durch Twitter laufen, die Trends aber längst von anderen bestimmt werden?

Kann es sein, dass Medienhäuser das (vorhandene) junge Publikum in sozialen Netzwerken so schwer erreichen, weil sie sich gar keine Mühe geben, es auf dem richtigen Kanal passend anzusprechen?

2013 war ein Kollege, damals 25, auf dem Youtube-Treffen in der Kölnarena. Die Halle war ausverkauft. Es war nicht die Welt eines 25-Jährigen: Mein Kollege kannte keinen der Akteure. Nun sah er, wie Tausende junge Menschen Stars anhimmelten, von denen er vorher noch nie gehört hatte. Eine skurrile Situation, die zeigt, in welchen Parallelwelten wir längst leben.

Ein Top-Trend bei Twitter am Freitag war #niewiederniemand mit über 3000 Tweets. Nie wieder niemand ist der Name der neuen Singe von @TheRealLiont und @kayefofficial.

@TheRealLoint ist der Freund von @Dagibeee. Manchmal drehen sie gemeinsame Videos, sprechen dabei über ihre Beziehung, sammeln dabei Fragen über Facebook ein. Ihr könnt es euch denken: 118.000 Twitter-Follower, über 850.000 Youtube-Abonnenten, über 440.000 Facebook-Fans.

Und @Kayeofficial: Fast 50.000 Twitter-Follower, 160.000 Instagram-Folower, 230.000 Facebook-Fans, 225.000 Youtube-Abonennten. Niemand von ihnen hat auf seinen Social-Profilen einen Hinweis auf eine eigene Homepage.

Sind das Ausnahmen? Nein. Gibt es thematisch Einschränkungen? Nein. Tilo Hensel hat vor einigen Monaten diesen sehenswerten Beitrag über zwei junge Leute auf Youtube gedreht:

„Snukieful“ aus dem Video hat mittlerweile mehr als 120.000 Youtube-Abonennten. Die Liste mit deutschsprachigen Akteuren kann man endlos weiterführen: @samislimani, Lamilya Slimani, Stories with Tea, Woonderwaaall, @KindOfRosy, Gronkh, Die Aussenseiter, LeFloid, Misses Vlog, DamnMibu, Simon Desue, Shirin David, Bibis Beauty, @Julien_Bam, @Cheng_Loew.

Gesucht: Emotionale Intelligenz, statt abgeschlossenes Hochschulstudium

Unsere Welt ist ausdifferenziert und unübersichtlich. Dank des Internets und sozialer Medien gibt es für jeden die Möglichkeit, die für sich passenden Inhalte zu finden. Es gibt viele kreative und erfolgreiche junge Menschen, die mutig sind und experimentieren. Sie haben ihre eigenen Kanäle, ihr eigenes Publikum und sind nicht auf andere angewiesen. Mut, den viele klassiche Journalisten nicht haben.

In der Stellenausschreibung von Buzzfeed Deutschland findet sich bei den gewünschten Eigenschaften ein interessanter Punkt, den Bewerber mitbringen sollten: „Emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen.“

Wer sich weigert, die Bedürfnisse und Lebensräume von jungen Leuten in der digitalen Welt anzuerkennen und sich nicht mit nicht ihnen auseinandersetzt, sie ignoriert, weil es am bequemsten ist, der wird in Zukunft ein Problem bekommen.


*Wir = Jeder, der sich angesprochen fühlt.

Nachtrag 22.08.2014: Die Traffic-Auswertung für diesen Artikel seht ihr hier: Über die Bedeutung sozialer Netzwerke als Traffic-Lieferant.
Nachtrag 4.08.2014: @FrDingens hat sich via Twitter beschwert, dass sie auf der re:publica und vorher ebenfalls über das Thema gesprochen hat: Hier findet ihr ihren Beitrag zum Thema.

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